Der
ROTE FADEN ist eine Triebfeder: dranzubleiben, ihn mitzugehen, wie er fortwächst. Gehalt und Gestaltung sind eins. Gedichte entsprechen Briefen: Sie teilen mit, teilen sich nur mit, weil sie an Lesende glauben.
In der Reihe Menschen wichtiger Erfindungen kommt ganz am Anfang der Klang, Grundlage des Knotens. Er ist für das Geflecht nötig, aus dem Text werden kann, Sprachgewebe.
Als Nächstes entwickelten Menschen Instrumente der horizontalen und vertikalen Verstärkung:
BOGEN heißen die Pfeilschneller-Jagdwaffe als auch die tragende Krümmung von Bauten.
In
DAMASZENISCH, einem abgebrochenen Riesengedicht, gibt die Technik der Schwertstahlerzeugung das Dicht-Verfahren.
SÄULENGEDICHT widmet sich mittelalterlicher Baugeschichte und darin der Entwicklung der Verhältnisse zwischen Kreuz und Muttersäule.
Noch vor
BOGEN ist
LEG O STEINE entstanden, ein Panoptikum möglicher Bewegungen, mit der Vielfarbigkeit gleicher Ziegel vorgestellt. Nach der Atomlehre des Demokrit sind diese kleinsten Bauteile für alles Mögliche gut – wenngleich es hier – wie schon in der
BAUANLEITUNG FÜR EINE ZEIT-SKULPTUR – um nur ein Thema geht: „Präsens ist der unhaltbare Moment zwischen Zukunft und Vergangenheit“. Zitate reichern den Baustoff der
LEG O STEINE an. Ziegelmodel ist die alkaiische Odenstrophe.
Für
BOGEN wurde eine eigene Form entwickelt, die grafisches Erscheinungsbild und prosodischen Spannungsbogen vereint und in der mittleren Zeile den Schlussstein (oder Abschusspunkt) hat.
Es folgte
AUFNAHMEZUSTAND, eine Sammlung von Gedichten, die dem Gelieren von Augenblicken nachspüren: Wie wird Erlebtes geprägt? Diese Momente finden im Freien statt, es sind Schnappschüsse von Landpartien, v.a. Ausflügen mit Kindern, ein Kalenderjahr durch.
HERZUNRUH, so der Name eines leiblichen Leidens, das sich in Unrast äußert, entlehnt aus Dantes „Göttlicher Komödie“ das Thema der Halbzeit im Lebenslauf, das Rennen am Uhrwerk. Das gewissermaßen durch den Wald joggende Langgedicht wird von Terzinen angetrieben, der Strophenform, die dem Branden der Gezeiten entspricht.
Ob Oden-, Terzinen-, oder Bogenstrophe: Formen sind für eine/n Dichtenden Herausforderung und Nagelprobe. Sie geben Lust und Sporen, wem Gedanken in Wellen schwingen; in Gedichten, die dabei herauskommen.
Das Handwerk des Sprachkünstlers besteht im Formen-Ausloten, Ausreizen, Erweitern. Es heißt lernen, was ein Ton – wie die Minnesänger es nannten – trägt. Auf einmal stimmt’s, hält, gleicht aus; das Gedicht gibt etwas von sich.
Es begann mit einem in fünf Bände gebändigten Jugendwerk,
LID ERLICHTUNG: im Nachspuren von Vorbildern gemachte Erfahrungen, worauf es beim Dichten ankommt. Vor allem die, dass auf einen Durchbruch Katzenjammer folgt; wenn das wie am Schnürchen Laufende, Eingespielte, nichts mehr abverlangt. Also setzt man jedes Mal neu an, gießt ein frisches Lot, verwendet eine fremde Waage oder wirft das Auge eines neu gefundenen Lesers auf sein Gedicht.
Zu diesen Versuchsreihen oder gestellten Themen entstehen Zyklen. Das braucht Spielregeln. Zieht eine dichtende Person drei Kinder groß, gilt es neben dem Familienleben einen Brotberuf (oder mehrere Brotverdienste) auszuüben. Nur eingerichtetes, geregeltes Dichten kann das überleben. Dazu gehört das NACHDICHTEN, bei dem die Werkzeuge in Gebrauch bleiben, ohne dass der Schwung selbst aufgeboten werden muss; den hat dann schon ein bewunderter Anderer geleistet. Ihm kommt man nach.
Paradoxerweise ist nachdichterische Arbeit der größte Gegensatz zum Dichten eines Originals: Hie losgelöste Freiheit, da vollkommene Abhängigkeit in Form von Beziehungspflicht. Vor allem reizt die Herausforderung zu einem Spiel mit dem anfangs als unmöglich Geltenden. Beim Gedichtübersetzen lernt man Maßhalten, Dichten im eigentlichen Sinn: Weglassen, Entsprechen, Wesentliches Konzentrieren.
LUST, LIEBE, VÖGEL sind über einen Zeitraum gesammelte, aus dem Leben gegriffene Gedichte zu Zweisamkeiten.
Der moderne Künstler, schreibt Literaturkritiker Harold Bloom, hätte Religion: glaube an das, was er macht. Wie der Plastiker mit einem Objekt seine Haltung in den Raum stellt, errichtet ein Sprachartist mit der gefühlten Spannung sein Gebilde.
Mit dieser Ansicht werden in
DICHTE KERNE 66 abstrakte Skulpturen zu Gedichten gelesen.
STRICHE, STERNE spüren, unterschiedlich gelaunt, Bilder nach.
Künstler sein heißt eine
Begabung zum Lesen haben, nicht nur in Büchern.
In UT PICTURA POESIS, Gedichten aus Rom, laden neben Kunstwerken Gebäude dazu ein, in fremden Städten und ihren Geschichten zu flanieren.
Künstler finden, ergänzen, beschenken einander, wenn sie Austausch treiben.
Kunstwerke, über die man wenig weiß und deren Hersteller oder Verfertigerin unbekannt sind, lohnen umso mehr der Betrachtung. Artefakte aus der Vorgeschichte verraten viel über die Rolle, in der sich unsere Vorfahren in der Welt sahen.
MENSCH•ER•BILDE versammelt Ansichten auf Museumsstücke, die nach ihrer Entstehung geordnet eine Geschichte davon ergeben, welches Bild sich Menschen von sich machten.
Lesen, mit umgekehrter Blickrichtung versucht, führte zu
PTEROMETEOCHORISCH. Das sind Gedichte, die druckgrafische Arbeiten von Babsi Daum illustrieren; wobei Bild samt Gedicht auch Blinden lesbar werden, in Prägedruck und Brailleschrift übersetzt.
Dichten ist eine Art Lesen. Gedichte speisen sich aus anderen und sie speisen, werden sie gelesen, die nächsten. Der Rote Faden meint die dichterische Kraft des Einzelnen und den Kreislauf des Ganzen.